Intuitives Essen als Masche
Intuitives Essen scheint gerade ein heißer Trend zu sein.
Klar, das Konzept klingt ja auch cool: nix ist verboten, hör einfach nur auf deinen Körper- Zack fertig!
Das Problem: da intuitives Essen nicht mit Diätkultur und Essenspolizei vereinbar ist, sieht das für Social Media mit seinem Gesundheits- und Fitnesswahn natürlich eigentlich nicht gut aus. Die Lösung: lass einfach ne Diät draus machen und dann “Intuitives Essen” nennen.
An den folgenden Punkten kannst du erkennen, ob es sich wirklich um Tipps für intuitives Essen handelt oder einfach nur ne Masche ist:
1. Werbung mit Gewichtsreduktion: Zack - da sind dann auch schon die meisten weg! Tatsächlich kann dir niemand mit Bestimmtheit voraus sagen, ob du ab oder zunehmen wirst wenn du dich intuitiv ernährst. Wenn es jemand tut, will man dir eine Diät verkaufen. Ciao!
2. Vorher- nachher- Bilder: Egal in welche Richtung - ob von schlank zu dick oder dick zu schlank - diese Bilder laden einfach immer zum Vergleichen an und suggerieren, dass genau dieser Prozess der Person ein Erfolg ist. Die Reise zum intuitiven Essen ist aber für jeden anders. Nur weil jemand 20kg abgenommen hat, bedeutet es eben nicht, dass sich auch nur die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass dein Körper genauso reagiert. Es macht dir einfach nur falsche Hoffnungen.
3. What I eat in a day: Intuitives Essen ist natürlich sehr individuell. Warum solltest du dich dann mit einer anderen Person vergleichen? Im schlimmsten Fall siehst du was jemand anderes isst und und denkst dir: "Ach du Scheisse, ich esse ja viel mehr. Das kann nicht normal sein - ich kann meinem Körper nicht vertrauen!".
4. Intuitives Essen mit einer Ernährungsweise verbunden: "Darf es vielleicht intuitiv rohvegan sein?" (Ich lache selbst während ich diese Zeilen schreibe) Jede Art von Lebensmitteleinschränkung kann dazu führen, dass du gegen diese Regel rebellieren willst. Ernährungsweisen, die also ganze Lebensmittelgruppen ausschließen, haben daher gar nichts mit intuitivem Essen zutun z.B. intuitiv Paleo (ich lache schon wieder laut). Natürlich kann man aus ethischen Gründen in Erwägung ziehen keine tierischen Produkte zu essen, aber auch hier wird es schwierig. Oft tarnt sich hinter einer veganen Ernährungsweise auch der unterbewusste Wunsch nach einer eingeschränkten Nahrungsmittelauswahl (weil viele Süßigkeiten und Fertigprodukte nicht vegan sind, man nicht so leicht außer Haus essen gehen kann und insgesamt vegane Gerichte mit weniger Kalorien assoziiert werden). In diesem Fall ist es eben dann keine bewusste ethische Entscheidung mehr und man erlaubt sich auch nicht auf das Signal zu hören z.B. Milchprodukte zu essen - selbst wenn man Lust darauf hat. Zudem sind vegane Ersatzprodukte eben nährwerttechnisch anders aufgestellt: veganer Pizzaschmelz ist eben kein Käse! Auch das kann das Konzept des Intuitiven Essens untergraben.
5. Lebensmittel werden in gut und schlecht eingeteilt: wenn dir suggeriert wird du darfst alles essen - aaaaaaber von den Keksen bitte nicht so viel, sondern lieber mehr Gemüse, dann ist es - oh Wunder - eine Diät. Laaaaangweilig!
6. Es werden nur Teilaspekte der intuitiven Ernährung beachtet: wenn z.B. achtsames Essen oder ein ausschließlicher Fokus auf Hunger und Sättigung gelegt wird, aber alle anderen Prinzipien des intuitiven Essens hinten runter fallen, wird aus intuitivem Essen schnell wieder ein Regelwerk. Ohne z.B ein Ablegen der Diätmentalität, wirst du dich sonst immer schuldig fühlen wenn du Mal doch ohne Hunger isst und Schuld ist der perfekte Nährboden für restriktives Essverhalten oder einen Essanfall.
6. Intuitiv Essstörungen heilen: Ja, intuitives Essen ist eine Praxis, die im Kontext von Essstörungen ihren Einsatz findet - ABER nur im therapeutischen Setting! Essstörungen haben eine massive Auswirkung auf den Körper, sodass es dir .z.B nicht möglich ist Hunger- und Sättigungssignale richtig wahrzunehmen. Dementsprechend solltest du nicht versuchen in Eigenregie intuitiv zu essen, sondern suche dir eine zertifizierte Ernährungsfachkraft, die sich mit der Thematik auskennt (wie beispielsweise ich). Zudem ersetzt eine ernährungstherapeutische Beratung keine Psychotherapie - geschweige denn ein Coaching bei einer genesenen Person, die nur ihren eigenen Teller, aber nichts außerhalb des Randes kennt!
7. Du kannst versagen: ich wiederhole mich wenn ich sage "intuitives Essen ist keine Diät mit festen Regeln und Geboten" dementsprechend kannst du auch weder versagen noch sündigen oder "schlecht sein". Jeder Teil des Prozesses hin zu einem intuitiveren Essverhalten kann dir helfen noch etwas mehr über dich zu lernen. Jede Mahlzeit ist hilfreich, um deinen Bedürfnissen noch etwas weiter auf den Grund zu gehen und neue Erfahrungen zu machen. Entspann dich - du bist gut so wie du bist!